Marder im Gebälk

Draussen ist es dunkel, die Welt schläft noch. Nur ich nicht mehr. Um vier Uhr morgens bin ich aufgewacht und habe die Chancen genutzt, um meine Blase zu erleichtern. Jetzt liege ich im Bett und lausche dem erwachenden Rauschen der nahen Schnellstrasse. Nein, es ist noch zu früh, um dem gemütlichen Federbett zu entfliehen. Ich kuschele mich in meine Bettdecke, drehe mich zur Seite und werfe noch einen Blick auf meine friedlich schlummernde Frau. Die ruhigen Atembewegungen lassen mich ihre Silhouette im Dunkel knapp erkennen. Zufrieden schliesse ich die Augen. Meine Gedanken versuchen erfolglos zu erhaschen, was ich zuletzt geträumt habe. Entspannt spüre ich,  wie sich mein Körper schwerer und schwerer anfühlt, je länger ich regungslos daliege. Ich muss unwillkürlich gähnen und beim Ausatmen merke ich, wie die Müdigkeit mich übermannt.

Doch das plötzlich Kullern einer Murmel lässt mich aus dem dunklen Traumkosmos unvermittelt fliehen. Oh, nein, nun das noch. Mir ist sofort klar, was dieses Geräusch, begleitet von heftig umhertollenden Fellknäueln, bedeutet. Die Marder auf unserem Dachboden haben sich auf ihrer nächtlichen Tour zuwenig bewegt. Sie haben das 10000 Schritte-Soll noch nicht erfüllt. Es rumpelt im obersten Stockwerk und die Glaskugel ist immer wieder auf den Holzdielen zu hören. Irgendwo muss mal so eine Murmel in den Zwischenboden gefallen sein, dass diese putzigen Tierchen nun versuchen CR7 zu imitieren. Das frühmorgendliche Marder-Konditionstraining hat zur Folge, dass ich nicht wieder einschlafen kann.

Murmel auf Holz

Mmh, wie gehe ich nun damit um? Ich habe bereits den sachverständigen Zoologen Dr. Google konsultiert, um herauszufinden, welche Folgen Marder im Gebälk haben können und was man dagegen tun kann. Sie stinken, machen Lärm und sind für gewisse Sachbeschädigungen verantwortlich. Schädling sei das rechte Wort für diese Raubtiere.

Ich kann mich von diesem Gedanken treiben  lassen, was mich dazu veranlassen muss, diese Individuen mit aller Harnäckigkeit und Hass zu verfolgen…. oder… ich nehme es gelassen. Ich entscheide mich für Letzteres, denn eine Konsequenz der radikalen Verteibungsmethode wäre, Lärm zu machen, mit dem Besenstil an die Decke zu klopfen oder das Radio laut zu stellen. Aber will ich das? Möchte ich das meiner Prinzessin, die so ungestört neben mir liegt, antun? Eigentlich nicht.

Die jungen Tiere müssen es sehr geniessen einfach mal herumzutollen, ohne das die Marder-Eltern, sofern Marder das können, sagen: „Halt! Stopp! Denkt an die Nachbarn!“ Mir kommen meine eigenen Kinder in den Sinn, die solche und ähnliche Worte von mir hörten. Unbehagen beschleicht mich.

Ich stelle mir vor, wie diese putzigen kleinen Kerlchen, die jeden noch so winzigen Spalt ausnützen, um ein Zuhause im Dachstock zu finden, von mir vertrieben werden…, mit ihren Jungen, um dann in tiefster Nacht einen neuen Unterschlupf suchen zu müssen und sich beim Nachbarn einquartieren. In zwei bis drei Jahren, oder schon früher, würden sie wieder in unseren Estrich wechseln, weil der Nachbar sie nicht mehr haben will. Also – was soll’s?

Immer noch wachliegend bevölkern andere Überlegungen mein Denkvermögen. Funktionieren wir Menschen manchmal nicht genauso? Es nistet sich Kleingetier in unserem Oberstübchen ein. In Form von Gedanken, Vermutungen, scheinbaren Benachteiligungen und Vorurteilen, die irgendwann ihre eigene Dynamik ausleben. Die Kugeln vor sich herschiebend schaben sie dann die Denkoberfläche in unserem Kopf glatt. Wir wollen diese Gedanken loswerden, schaffen es aber nicht und ärgern uns, weil sie zurückkehren. Wir hören immer wieder die Kugeln rasseln. Und irgendwann nehmen wir sie für bare Münze.

Wie schön wäre es, den Gedanken-Querulanten einfach den Laufpass zu geben, indem das Radio ein wenig lauter spielt und mit dem Besenstil die Decke maltretiert wird, in der Hoffnung, die Störefriede verschwinden. Aber halt…., wird das nicht schon heute immer wieder ausprobiert? Wochenende für Wochenende? Kick für Kick? Party für Party?

Party mit Lichtshow

Ein flüchtiger Kuss der Vergesslichkeit lässt uns in eine surreale Scheinwelt versinken, wo alles in Ordnung zu sein scheint. Bis wir mit einem Kater erwachen und realisieren, dass dies nicht der Wirklichkeit entspricht.

Das Problem bleibt: Die Plaggeister erwachen wieder. Die Betäubung hält nicht an. Und die Kugeln beginnen wieder zu rollen. Wir lernen zwar mit dem Auf und Ab fertigzuwerden, wollen uns aber doch nicht an diesen Umstand gewöhnen.

Wer den Marder schont, gefährdet die Hühner.
Bauernweisheit

Diese Sprichwort ist zwar für Geflügelzüchter und Bauern eine logische Konsequenz, doch für mich, da ich keine Hühner halte, nicht von Belang. Was ist aber mit unseren Gedanken, denen man marderähnliche Allüren zuschreibt? Lassen sie sich schonen oder müssen Sie vertrieben werden?

Mir fällt mein letztjähriges Jahreslos aus der Bibel ein, wo König Salomo eine bemerkenswerte Aussage macht, nachzulesen im Buch der Sprüche Kapitel 4 Vers 23. Dort steht:

„Was ich dir jetzt rate, ist wichtiger als alles andere: Achte auf deine Gedanken, denn sie entscheiden über dein Leben!“

‭‭Sprüche‬ ‭4:23‬ ‭HFA‬‬

Offenbar war das unbeliebte Kopf-Geflunker schon vor 3000 Jahren ein Thema, sodass der mächtigste und reichste König jener Zeit es sich zum Thema machte. Doch diese Erkenntnis hat er selber nicht auf die Reihe gebracht, hat seinen eigenen Rat missachtet und endete daher nicht gerade rühmlich. Obwohl Salomo jahrzentelang seinem Gott treu diente und dadurch auch Gottes Güte in besonderem Mass erfahren hat, liess er sich später auf andere Götter ein und erbaute ihnen Statuen. Er öffnete den Einflüsterungen seiner vielen fremdländischen Frauen Tür und Tor. Wie Adam und Eva im Paradies hörte Salomo in gebrochenem Hebräisch solche oder ähnliche Worte: „Sollte Gott wirklich gemeint haben, dass du keine anderen Götter anbeten sollst? Ist das eines Königs, wie du einer bist, würdig? Schau dir mal die anderen Machthaber an, die haben hunderte von Götter. Glaubst du etwa, dass du etwas Besseres bist als ich?“ Es nisteten sich Kuckucks-Ideen ein, die bald soviel Platz einnahmen, dass die anderen Gedanken-Bewohner zum Nest rausbugsiert wurden. Sie entschieden über sein Leben.

Die Hirngespinste machen offenbar keinen Unterschied, ob jemand arm oder reich, dumm oder weise, unbedeutend oder weltberühmt, krank oder gesund ist. Es kann jeden treffen. Auch dich und mich. Ich für meinen Teil werde in Zukunft mehr auf meine Gedanken achten und diese wenn nötig vertreiben, sie nicht schonen, wenn sie als Schädling erkannt werden. Mein Denken soll ein Nest für gute, aufbauende und positive Gedanken sein.

Danke, liebe Marder-Familie, für diese Einsicht zu nächtlicher Stunde.

Und ob all dieser Gedanken und Überlegungen und noch während die Marder weiter ihr Unwesen treiben, gleite ich, weiss nicht wann, vollends in die Traumwelt hinüber.

Stefan Wanzenried © internetgedichte.ch / 07.02.2018

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