Es regnete leicht, als ich vor ein paar Stunden in entgegengesetzter Richtung diese Strasse fuhr. Ich war auf dem Weg zum alljährlich stattfindenden Jahrmarkt, der jeweils am ersten Montag im Dezember abgehalten wird. Es muss schon Jahre her sein, als ich das letzte Mal über den „Chlaus-Märt“ schlenderte. Heute morgen hatte ich das Gefühl, dass es wieder einmal Zeit wäre diesen aufzusuchen. Viele Eindrücke sind mir hängengeblieben und begleiten mich auf dem Heimweg, als erlebte ich diese von Neuem.
Da ist das Gekreische und Lachen von Kindern, gemischt mit Sirenen und bassgeschwängerter Jahrmarktsmusik. Meist fröhliche Gesichter umgeben mich, nur ab und zu fallen mir ausdruckslose, maskenartige Mienen auf. Kleine Knirpse staunen mit weit aufgerisssenen Augen über das emsige Treiben. In der Reizüberflutung stolpern sie immer wieder über ihre eigenen Füsse und nicht über den Kabelsalat, der sich zwischen den Ständen gebildet hat. Das Bild eines junggebliebenen Rentners bleibt mir in den Hirnwindungen hängen: Er sitzt allein in einem Autoscooter und freut sich enthusiastisch mit zwei 10-Jährigen, die ihrerseits mit ihrem Gefährt in seine Karre donnern. Das Kind im Manne beherrscht die Szene.
Der Duft von fremdländischen Gewürzen ist allgegenwärtig. Nur Frittengeruch und FastFood-Dämpfe übertünchen diesen manchmal. Verkäufer preisen ihre Waren an und ernten dafür nebst dem Interesse von potentiellen Kunden meist auch argwöhnische Blicke von Mitbewerbern, die ihre Sachen ohne ihr eigenes aktives Zutun zu verkaufen hoffen. Anrempeln scheint an der Tagesordnung zu sein. Erstaunlicherweise wird das hier ganz gelassen akzeptiert. Je länger die Regenpausen und je häufiger das Sonnenblinzeln, umso zahlreicher werden die Besucher auf dem Markt.
Und wieder fällt mir ein „Bahnfahrer“ auf. Aber nicht weil er Freude hat – im Gegenteil. Ein Karussell dreht sich gemächlich, während ein knapp zweijähriges Kind weinend aus einem Auto hinauslehnt. Es ist nicht gefährlich, aber dem Kind gefällt es überhaupt nicht. Es scheint Angst zu haben. Nur die Grossmutter, die ein wenig hilflos neben dem Karussell steht, möchte sich mit dem Kind freuen. Aber man merkt ihr die Verlegenheit an. Sie denkt wohl: „Hätte ich ihn doch nicht dort reingesetzt!“ Kurze Zeit später hält das Karussell an und der Junge findet Trost in den Armen vom „Grosi“.
In dem munteren Treiben zwischen Marroni, Zuckerwatte und Magenbrot kündigt sich mir durch Magenknurren ein Hungergefühl an. Doch nun stehe ich vor einem Dilemma: Was soll’s denn bitte sein? Ich überquere den Markt und laufe wieder zurück bis ich mich für einen Brezel entscheide und mir noch einen Weiss-Glühwein genehmige. Danach fällt mir eine zufrieden vor sich hinsummende Crêpe-Macherin auf. Das gefällt mir! Dieses Verkaufsargument „Fröhliche Natur“ hat mich rumgekriegt. Nachdem ich die Spinat-Käse-Crêpe bestellt habe (Ja – ein bisschen gesundes Gemüse muss doch sein!), frage ich sie: „Ihnen gefällt offenbar das, was sie tun?!“ Sie bejaht und beginnt mir zu erzählen, wie sie vor ein paar Jahren ganz auf die Karte Crêpes verkaufen setzen wollte, dann aber gemerkt hat, dass dies auch ganz langweilig sein kann und je nach Wetter kaum Einkünfte bringt. Seit sie nun einen eigenes Geschäft in Turbenthal hat, macht sie dies nur noch als Ausgleich und wenn der Markt in der Nähe ist. So liebt sie ihre Arbeit.
Es fällt mir auf, dass der sonst übliche Stadtlärm nicht mehr hörbar ist – wie denn auch? Da und dort sehe ich ein Gesicht, das mir bekannt vorkommt. Doch ich kann es nicht zuordnen. Als ich dann jemanden wirklich erkenne und dieser meine Gruss auch erwidert, sind wir durch das Getümmel schon wieder auseinandergerissen. Ein flüchtiges Erleben – im wahrsten Sinn des Wortes.
Erst als ich zurück zum Parkplatz gehe, nehme ich auf einmal die „normalen“ Stadtgeräusche wieder war. Ich liebe die Marktstimmung, bin aber auch froh, wenn es wieder ruhig um mich wird.
Der Motor brummt und ich stell mir die Frage, woran mich das alles erinnert. Ist mein Leben manchmal nicht genauso wie dieses rege Markttreiben? Es offenbart mir, wer ich bin. Ich persönlich leide manchmal auch an Reiz- und Informationsüberflutung, sodass ich in Gefahr bin zu stolpern. Dann muss ich mich wieder aufs Wesentliche konzentrieren.
Wenn ich beginne mich von Konvention und Ritus zu lösen, schaffe ich es manchmal auch im Scooter des Lebens, dem Kind im Manne zu frönen. Dies sind dann meistens Highlights in meinem Lebenslauf.
Auf der anderen Seite fühle ich mich manchen Situationen hilflos ausgeliefert und es ist mir zum Schreien zumute. Wie gut, wenn ich dann in den Armen eines Grösseren Zuflucht finden kann.
Wie ist es mit dem Argwohn anderer, der mich lähmen kann, weil ich nicht auffallen will? Schaffe ich es darüber hinwegzusehen und mein Ding zu machen, ganz egal, was andere denken? Ist meine überzeugte und fröhliche Art ein „Verkaufsargument“ für meine Gesinnung? Wir wollen doch alle ernst genommen werden.
So wünsche ich dir, lieber Leser, dass du im Getümmel des Lebensmarktplatzes den sicheren Ort hast oder findest. Den Ort, der zeitlich nicht beschränkt und örtlich nicht gebunden ist. Den Ort, wo du immer ernstgenommen wirst. Den Ort, der auch mir im alltäglichen Markterlebnis Leben und Frieden schenkt. Die Person, die mich sieht – Jesus!
Stefan Wanzenried / 03.12.2018
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